Kretzschmar: Profi, Pokalheld und Dorftrainer
Jörg Kretzschmar im Trikot von Hannover 96, mit denen er 1992 völlig überraschend DFB-Pokalsieger wurde. Mit einem verwandelten Elfmeter trug er maßgeblich zum Erfolg bei.[Foto: imago]
Den Abend des 23. Mai 1992 im Berliner Olympiastadion wird Jörg Kretzschmar nie vergessen. Damals feierte der 53-Jährige mit Hannover 96 ziemlich überraschend den DFB-Pokalsieg über Borussia Mönchengladbach. Torloses Spiel, 4:3 im Elfmeterschießen, Kretzschmar verwandelt den dritten Schuss gegen Uwe Kamps. Oben rechts vom Schützen aus gesehen. „Normalerweise schieße ich unten links, also musste ich mir etwas einfallen lassen. Denn Uwe Kamps kannte mich ja ganz genau. Er war ja nicht nur ein ehemaliger Teamkollege, sondern auch ein guter Freund, mit dem ich viel unternommen habe in Gladbach. Ich war so froh, als dann der Ball im Netz zappelte. Ein unglaubliches Gefühl, dieses Spiel gegen meinen Lieblingsverein Borussia Mönchengladbach schon seit der Jugendzeit in der ehemaligen DDR.“
Ab der jetzigen Spielzeit, die gerade begonnen hat, bildet der ehemalige Mittelfeldspieler gemeinsam mit dem Spartenleiter Uwe Maulbrich das Trainergespann der Reserve des TSV Germania Haimar-Dolgen . Kretzschmar übernimmt dabei eine Art Co-Trainerfunktion, eher auf Standby-Basis, sofern ihm das möglich ist. Eine schwere Knie-Arthrose verhindert ein permanentes wirkliches Engagement. Germania II kickt in der 2. Kreisklasse der Region Hannover in der Staffel 1. Die Ortschaften Haimar und Dolgen liegen am Mittellandkanal, gehören zu Sehnde, südöstlich von Hannover. Das erste Punktspiel konnte am 5. August bei SuS Sehnde II mit 5:4 gewonnen werden. Mit Maulbrich im Tor und Kretzschmar-Junior Nico im Angriff.
Gleichwohl der Sohnemann eigentlich weiterhin für Germanias Kreisligateam eingeplant ist. Er hat aber in der Saisonvorbereitung auch schon unter seinem Vater in der Zweiten mitgespielt, ganz getreu dem Motto: zwei Mannschaften, ein Team. Sie sehen das alles recht locker auf dem Dorfe. „Das ist eben reiner Amateurfußball. Anfangs habe ich mich als ehemaliger Profi etwas schwer getan, aber mittlerweile erkenne ich den Charme des Kickens auf dem Dorf durchaus und schätze das sehr. Vermutlich, weil ich seit den 90er Jahren selbst auf dem Dorf lebe“, sagt der im sächsischen Riesa geborene Jörg Kretzschmar. „Allerdings haben es solche Mannschaften immer schwerer zu existieren, weil es zu viele andere Einflüsse gibt.“
Erfolgreicher Jugendtrainer
"Anfangs habe ich mich als ehemaliger Profi etwas schwer getan, aber mittlerweile erkenne ich den Charme des Kickens auf dem Dorf durchaus und schätze das sehr"
In der Saison 2008/2009 übrigens gab es bei den Kretzschmars schon einmal das Vater-Sohn-Gespann als Erfolgsduo. Und zwar bei MTV Iltens A-Junioren, wo Papa Jörg als Trainer und Sohn Nico als Spieler den Aufstieg in die Bezirksliga schafften. „Ilten wurde damals aufgrund meines Engagements bei Hannover 96 zu unserem Wohnort. Beim MTV hat mein Sohn als kleiner Junge auch seine ersten fußballerischen Schritte gemacht“, erklärt Jörg Kretzschmar den Weg in die Trainerkarriere, der für viele Väter gilt. „Sicherlich waren die Anfänge so, dass ich mehr oder weniger über das Vaterdasein zum MTV Ilten gekommen bin, weil ich öfter mal zugeschaut hatte.“ Aus dem väterlichen Interesse wurde dann mehr, eben der väterliche Trainer. Nach seinem Karriereende 2000 und vier Jahren beim 1.FC Magdeburg startete Jörg Kretzschmar so an der Seitenlinie.
Der MTV Ilten gilt als seine erfolgreichste Station. Im Winter 2000 hatte er übernommen, als darum gebeten wurde. „Ich war dann in Doppelfunktion, als Jugendtrainer bei meinem Sohn und als Herrentrainer.“ Nach dem Abstieg in die Kreisklasse führte Kretzschmar die Iltener in seinen dortigen zehn Trainerjahren bis in die damalige Bezirksoberliga Hannover, die heute Landesliga heißt. Zu den weiteren Stationen Kretzschmars zählen unter anderem der TSV Kirchrode in Hannover, der TSV Höver (4. Kreisklasse), der TSV Heisede und eben der TSV Germania Haimar-Dolgen, allesamt in Hannovers Umland gelegen. Beruflich ist der frühere Profi Sachbearbeiter bei Lotto Niedersachsen. Dort existiert seit vielen Jahren auch eine Prominentenmannschaft, die öfter mal zu verschiedensten Vereinsanlässen für einen unterhaltsamen Kick sorgt; mehrere Jahre unter Kretzschmars organisatorischer Hilfe.
Fluchtversuch aus der DDR
Der gebürtige Sachse hat eine abenteuerliche Vergangenheit. Im Sommer 1984 wollte er über die bulgarisch-griechische Grenze, um auf diesem Weg die DDR zu verlassen. Kretzschmar wurde von bulgarischen Grenzsoldaten aufgegriffen, in die DDR zurückgebracht und wegen „versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts“, so der damalige Sprachgebrauch, ins Gefängnis gesperrt. Im Zuge eines Häftlingsfreikaufes konnte er 1985 in die Bundesrepublik ausreisen, wo der frühere DDR-Zweitligaspieler von Stahl Riesa, der auch bei Dynamo Dresden im Nachwuchs ausgebildet worden war, beim MTV Hondelage bei Braunschweig seine Laufbahn fortsetzte und schnell zum VfL Wolfsburg kam. Später spielte er neben Gladbach und 96 auch beim SV Meppen und weiteren niedersächsischen Vereinen wie TuS Celle , VfL Herzlake und SV Damla Genc in Hannover.
Wie er zum Fußball gekommen ist? „Ich hab einen drei Jahre älteren Bruder und da bin ich zum Fußball spielen immer mitgekommen. Zunächst war ich, weil ich ja der Kleinste der ganzen Sippe war, der Ballholer“, schmunzelt Kretzschmar. „Ich war also eine Art Mitbringsel. Immer mit den Älteren mitgespielt zu haben, hat mich auch gelehrt, mich durchzusetzen. Vielleicht war das sogar die Basis für meine Karriere.“