Offen für alle |11.08.2021|11:40

VfL Senden: Neue Heimat für geflüchtete Kids

Der VfL Senden ist offen für alle: "Wir wollten jedem Kind die Möglichkeit geben, Fußball zu spielen."[Foto: VfL Senden/C. Arends]

Omar Al Haealy ist zehn Jahre alt, als für ihn ein völlig anderes Leben beginnt. Im Dezember 2015 muss der Junge aus seiner Heimat fliehen, über Umwege findet er schließlich ein neues Zuhause. Seine Familie kommt aus Mossul im Norden des Iraks, doch als die Lage im dortigen Kriegsgebiet immer unsicherer wird, müssen die Al Haealys fliehen. Es geht zunächst mit dem Auto ins nahe Syrien, doch als auch dort der Krieg tobt, müssen sie weiterziehen.

"Wir sind durch die Berge in Richtung Türkei gelaufen", erinnert sich Omar an die schrecklichen Tage und Wochen. Seine Mutter wird bei der lebensgefährlichen Tour verletzt, seinen leiblichen Vater hat er schon vorher verloren. Mit dem Stiefvater, zwei älteren Brüdern und einer Schwester geht es auf der Flucht vor dem Krieg zunächst nur ums Überleben.

Heute geht es dem inzwischen 15-Jährigen viel besser, die Schrecken der Vergangenheit kommen natürlich immer wieder in der Erinnerung der oft traumatisierten Menschen aus den Krisengebieten dieser Welt hoch. Und doch kann Omar positiv auf seine Zukunft blicken. Nachdem er mit seiner Familie zunächst in Meinerzhagen im Sauerland landete und einen Monat in einer Flüchtlingsunterkunft verbringen musste, kamen die Al Haealys nach Senden ins Münsterland. Zunächst mussten die Iraker in einem kleinen Zimmer ausharren, ehe ihnen eine neue, größere Wohnung zugewiesen wurde – und zwar ganz in der Nähe des Fußballplatzes.

Integration als Tradition

"Im Irak haben wir immer auf der Straße Fußball gespielt. Der Sportplatz war zu weit weg, und im Verein hätten wir Geld bezahlen müssen. Das hatten wir nicht"

Der VfL Senden versteht sich schon länger als ein Verein, der offen für Menschen aus aller Welt ist und ihnen eine neue Gemeinschaft bieten möchte. "Es hat schon Tradition, dass sich viele Neuankömmlinge gerade uns anschließen. Das fing in den 1990ern mit russischen Spätaussiedlern und kurdischen Geflüchteten an", weiß Christian Arends. Er ist Vorsitzender und Sportlicher Leiter der Nachwuchsabteilung beim Klub.

In der Region leben zwar deutlich weniger Menschen mit Migrationshintergrund als zum Beispiel im nicht weit entfernten Ruhrgebiet, aber gerade in Senden ist Multikulti angesagt. "In der ersten Mannschaft kicken Spieler deutscher, türkischer, libanesischer und kosovarischer Herkunft", berichtet Christian Arends. "Und Charles Junior Ndefru stammt aus dem Kamerun. Er ist über Malta, wo er sogar in einer Profiliga gespielt hat, zu uns gekommen. Leider müssen wir aktuell mit ihm um seinen dauerhaften Aufenthalt kämpfen, da er hier, trotz der in Senden lebenden Familie, zur Ausreise gezwungen wurde."

"Schrecken" durch Schützenfest

Als Ende 2015 der Flüchtlingsstrom in Richtung Europa und Deutschland deutlich zunahm, war auch Senden das Ziel vieler Neuankömmlinge. So fanden Jungs aus Afghanistan und Syrien, so wie Omar Al Haealy aus dem Irak, eine neue Perspektive auch über ihr liebstes Hobby. "Wir wollten jedem Kind die Möglichkeit geben, Fußball zu spielen", erzählt Christian Arends.

Was in der Folge allerdings zu fast schon dramatischen Situationen führte. "Wir wussten, dass wir behutsam mit ihnen umgehen müssen, sie hatten ja traumatische Erlebnisse hinter sich, die wir in Deutschland so kaum kennen", führt der frühere Spieler und Trainer des VfL Senden aus. "An einem Wochenende hatten wir ein Jugendspiel, als ganz in der Nähe ein Schützenfest war. Als plötzlich Schüsse fielen, schreckten die Kids, die aus einem Kriegsgebiet kamen, zusammen. Sie wussten gar nicht, was los war, und wir mussten sie erst einmal beruhigen, dass nichts Schlimmes passieren würde."

Auch der samstägliche Feueralarm um 12 Uhr sorgte anfangs für Unruhe bei den Neuankömmlingen, doch inzwischen haben sie sich an die etwas anderen Brauchtümer beziehungsweise Katastrophenschutz-Maßnahmen in Deutschland gewöhnt. So auch Omar Al Haealy. "Es gefällt mir sehr gut hier, auch wenn ich natürlich meine Heimat vermisse", sagt der C-Jugendkicker des VfL Senden. "Ich habe schnell die deutsche Sprache gelernt und viele neue Freunde gefunden."

Über den "Kubus", ein Jugendzentrum in Senden, fand er rasch Anschluss an Gleichaltrige. Fußball spielte er zuvor auch schon im Irak, dort aber ganz anders als in Deutschland. "Wir haben immer auf der Straße gespielt", berichtet Omar. "Der Sportplatz war zu weit weg, und im Verein hätten wir Geld bezahlen müssen. Das hatten wir nicht."

In Senden ist der Sportplatz an der Bulderner Straße frei zugänglich, auch das hat Tradition. "Die Gemeinde möchte das so, um allen Interessierten die Möglichkeit zu bieten, barrierefrei Sport zu machen", verrät Christian Arends. "Wir haben aber natürlich Hausrecht für unseren Trainings- und Spielbetrieb."

Einsatz für "Aktion Hoffnungsschimmer"

Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde und ihren Institutionen, zum Beispiel der Marien-Grundschule und der Edith-Stein-Gemeinschaftshauptschule, läuft richtig gut. Seit 2016 unterstützt der gesellschaftlich engagierte Verein zudem die "Aktion Hoffnungsschimmer – Hilfe für Flüchtlinge in Not", die sich explizit für Menschen im Nordirak einsetzt. 2015 reiste eine Delegation aus Senden in die Krisenregion und überbrachte Hilfsgüter.

Seitdem werden bei jeder Gelegenheit Spenden für die Aktion gesammelt, so kamen bei einem Benefizspiel gegen den früheren Bundes- und heutigen Regionalligisten Preußen Münster 12.000 Euro für "Hoffnungsschimmer" zusammen. "Am Eingang zum Sportplatz steht ein Sparschwein bereit, das immer gut gefüttert wird, sofern Spiele stattfinden können", sagt Christian Arends.

Nicht nur er hofft darauf, dass es im Amateurfußball irgendwann wieder weitergehen kann. So soll im Januar 2022 möglichst wieder das große B-Jugendturnier stattfinden, zu dem der VfL etliche höherklassige Teams aus der Region und darüber hinaus in Senden begrüßt. Auch dort wurde in der Vergangenheit immer zusätzlich für die "Aktion Hoffnungsschimmer" gesammelt, wenngleich der Erlös traditionell an den "Roten Keil – Netzwerk gegen Kinderprostitution" ging. Außerdem möchte der Verein gerne sobald wie möglich auch wieder an internationalen Jugendturnieren des DFB-Kooperationspartners "KOMM MIT" teilnehmen, an denen in der Vergangenheit bereits Mannschaften, aber auch Schiedsrichter des VfL teilgenommen haben. "Ich war mehrmals für KOMM MIT in Spanien sowie Kroatien und Italien als Schiedsrichter, Platz- oder Turnierleiter. Für die Kinder und Jugendlichen ist es ebenso eine wunderbare Erfahrung wie für das Organisationsteam vor Ort. Es wäre toll, wenn das irgendwann wieder klappen könnte", hofft Christian Arends.

Omar Al Haealy, der vor gut fünf Jahren aus dem Irak nach Senden gekommen ist, würde sicher gerne mitfahren.


Während die Politik häufig um sinnvolle Lösungen ringt, geht der Fußball voran. Überall im Land leisten Amateurvereine wertvolle Arbeit zur Integration von Flüchtlingen, kümmern sich mit viel Herzblut um die Schutzsuchenden. Diesem außergewöhnlichen Engagement widmen wir in dieser Woche einen Themenschwerpunkt.