Fußballmedizin |03.02.2024|17:00

"Auch nach Diagnose Arthrose geht es weiter"

HSV-Teamarzt Prof. Dr. Götz Welsch (l.): "Der Spieler muss mitarbeiten und richtig fleißig sein."[Foto: imago]

Prof. Dr. Götz Welsch betreut seit zehn Jahren die Mannschaft des Hamburger SV. Nun war der vielfach ausgezeichnete Orthopäde und Chirurg Gastreferent bei der "Fortbildung Fußballmedizin". 120 Teilnehmende besuchten die zweitägige Konferenz auf dem DFB-Campus. Mit FUSSBALL.DE spricht er darüber.

FUSSBALL.DE: Professor Welsch, was versteht man unter einer Gelenkarthrose? Und wie prävalent ist die Erkrankung unter Fußballern und Fußballerinnen?

Prof. Götz Welsch: Es handelt sich um eine Verschleißerscheinung des Gelenkes, die sehr häufig vorkommt, vor allem im Kniegelenk und in der Hüfte. Die Grundregel lautet, unter den 40-Jährigen leiden 40 Prozent an einer Arthrose, bei den 80-Jährigen sind es 80 Prozent. Eine der Hauptursachen sind Verletzungen. Wenn mir schon in jungen Jahren das Kreuzband reißt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit 40 Jahren einen relevanten Gelenkverschleiß habe, sehr hoch.

Sie machen Mut und sagen, auch wenn eine Arthrose diagnostiziert wurde, kann man durchaus weiterspielen. Worauf sollte man dann aber achten?

"Jede Art des strukturierten Muskelaufbaus ist großartig"

Welsch: Beim Hamburger SV kommen natürlich ganz oft Spieler zum Medizincheck, dazu gehört als Standard eine Knie-MRT. Wenn wir dann beispielsweise bei einem 26-jährigen, der vielleicht einen Vierjahresvertrag vorliegen hat, einen schweren Gelenkverschleiß befunden, haben wir inzwischen die Gewissheit, dass wir es etwa durch Muskelaufbau, Spritzen, Nahrungsergänzungsmitteln sowie Belastungssteuerung hinbekommen werden, die Karriere dieser Spieler zu verlängern. Wobei der Spieler mitarbeiten und richtig fleißig sein muss.

Was mache ich als 50 Jahre alter Fußballer im Altherrenteam, wenn der Arzt Arthrose in meinem Knie oder in der Hüfte diagnostiziert?

Welsch:  Häufig hilft als erster Schritt Physiotherapie und Muskelaufbau, also die ganz klassischen Methoden. Irgendwann muss man vielleicht operativ eingreifen. Natürlich helfen sicher auch Sachen wie Lebensstilintervention, also etwa das Gewicht zu reduzieren oder die Ernährung umzustellen.

Wir wollen keine Werbung machen, aber empfehlen Sie Kieser-Training?

Welsch:  Das ist super. Jede Art des strukturierten Muskelaufbaus ist großartig. Viele meiner älteren Patienten gehen zum Kieser-Training, die profitieren alle davon.

Was kann man präventiv tun?

Welsch:  Wie anfangs erzählt, führen Verletzungen langfristig zur Arthrose. Es lohnt sich also unbedingt, sich vor jedem Training oder Spiel ausgiebig aufzuwärmen. Und wenn ich mit 50+ Fußball spielen möchte, muss ich auch Muskulatur und Kondition trainieren. Verletzungen passieren oft in der Schlussphase, wenn man pumpt und nicht mehr schnell genug reagiert. Das ist so gefährlich wie beim Skifahren die letzte Abfahrt des Tages.

Ihr bekanntester Patient in den vergangenen Monaten war Ludovit Reis. Haben Sie im Oktober seine Schulter operiert?

Welsch:  Ich operiere schon seit einigen Jahren nicht mehr. Das ist auch angenehmer, ich sehe die Jungs jeden Tag beim Training, da muss ich nicht auch die OPs durchführen. Wir schicken unsere Spieler zu operativen Gelenkspezialisten.

Sie sind seit zehn Jahren leitender Mannschaftsarzt des HSV, davor waren sie in gleicher Funktion fünf Jahre in Fürth. Was gefällt Ihnen an der Aufgabe, eine Fußballmannschaft medizinisch zu betreuen?

Welsch:  Man ist dauerhaft mit der Mannschaft unterwegs, kennt die Jungs über Jahre. Man baut eine intensive Beziehung auf. Das ist einfach ein komplett anderes Arbeiten als anderswo als Mediziner. Dazu arbeite ich ja auch noch außerhalb des HSV als Arzt in anderen Sportarten und auch mit älteren Patienten am Athleticum. Reizvoll ist für mich sicher die Abwechslung.

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit dem Cheftrainer?

Welsch:  Man muss eine Beziehung aufbauen. Da hilft es natürlich, dass wir jetzt zum Glück recht stetig sind in Hamburg und Tim Walter seit rund zweieinhalb Jahren als Trainer beim HSV unter Vertrag steht. Man muss einfach gegenseitiges Vertrauen aufbauen, erst dann wird der Trainer den Rat des behandelnden Arztes akzeptieren. Für ein gutes Miteinander braucht es dieses Vertrauen. Der Trainer muss überzeugt sein, dass der Arzt das Wohl des Spielers im Blick hat und genauso versucht, dass der Spieler möglichst schnell wieder auf dem Platz steht. Es hilft außerdem, wenn man als Arzt mit seinen Prognosen möglichst häufig recht hat. Man nimmt den Trainer auch immer mit, man informiert ihn also über die Entwicklung bei der Genesung eines Spielers.

Die HSV-Spieler stehen seit fünf Jahren praktisch pausenlos unter Druck. Der Aufstieg in die Bundesliga muss her. Wie sehr beschäftigt Sie dieser Druck als Mediziner? Ist man da irgendwann immun?

Welsch:  Nein, immun wird man da nie, aber man muss es als Herausforderung begreifen. Ich blicke ja auch auf Berufsjahre in der Unfallchirurgie zurück. Wenn der Hubschrauber mit dem schwerverletzten Patienten landet, muss jeder Handgriff sitzen. Man kann auch niemanden mehr fragen. Damals habe ich gelernt, mit einer Drucksituation umzugehen. Wichtig scheint mir, Ruhe auszustrahlen. Das ist auch in der Kabine etwa während einer Halbzeit und mehreren Behandlungen eminent wichtig. Wenn ich weiß, was von mir gefordert ist, lässt der Druck nach.

Wie wichtig ist so ein Austausch wie jetzt hier über zwei Tage bei der Fortbildung Fußballmedizin auf dem DFB-Campus?

Welsch:  Wir haben hier 120 Teilnehmer versammelt und gerade die Gespräche in den Pausen und am Abend bringen doch unwahrscheinlich viel. Man tauscht Erfahrungen aus. Man bildet Netzwerke. Und dann natürlich die Vorträge, weil man doch immer wieder neue Ideen kennenlernt. Und nach den Corona-Jahren ist es einfach ein tolles Gefühl, sich wieder direkt und persönlich zu treffen.