Gehörlose Wysocka: "Auf dem Platz frei"
[Foto: Martin Schwartz]
Die Frauen des FC Viktoria Köln führen derzeit die Tabelle der Bezirksliga an. Der Aufstieg in die Landesliga ist das erklärte Ziel. Dass die Chancen dafür gut sind, ist auch ein Verdienst von Stürmerin Amanda Wysocka, die in elf Begegnungen bereits 23 Tore erzielt hat. Aber noch etwas macht die 22-Jährige besonders: Sie ist gehörlos. Wie funktioniert dennoch das Zusammenspiel mit ihren Mitspielerinnen und dem Trainerteam?
Der Wind pfeift durch den Sportpark Höhenberg in Köln. Der leichte Nieselregen hat zum Glück gerade aufgehört, als Amanda Wysocka dick eingepackt die Anlage betritt. Eben hat sie noch gearbeitet, sie macht eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement bei Bayer. Gleicht steht für die Stürmerin des FC Viktoria Köln das letzte Training in diesem Jahr auf dem Programm. Danach kann Weihnachten kommen und die 22-Jährige diese besinnliche Zeit nutzen, um auf ein außergewöhnliches Jahr zurückzublicken. Wysocka hat in elf Begegnungen 23 Treffer erzielt und führt damit die Torjägerinnenliste der Bezirksliga am Mittelrhein an. Eine Quote von mehr als zwei Toren pro Spiel ist schon besonders. Noch außergewöhnlicher wird die Geschichte, wenn man weiß, dass Wysocka gehörlos ist.
"Einige Mitspielerinnen möchten Gebärdensprache lernen"
Die Angreiferin ist noch recht neu bei der Viktoria. Sie spielt seit dieser Saison für den Verein aus dem Rechtsrheinischen - und hat in dieser Zeit bereits menschlich und sportlich nachhaltigen Eindruck hinterlassen. "Ich bin im Sommer zur Viktoria gekommen, nachdem ich ein Jahr Pause vom Fußball gemacht und nur Futsal gespielt hatte", sagt Wysocka. "Es ist toll, jetzt hier zu sein. Ich habe viele nette Menschen kennengelernt. Und auch sportlich läuft es bisher super. Es macht mich glücklich, dass ich viele Tore schießen konnte. Und ich hoffe natürlich, dass wir an diese Serie anknüpfen und auch im neuen Jahr erfolgreich sein werden."
"Fußball ist meine Leidenschaft und gibt mir die Möglichkeit zu zeigen, was ich kann - unabhängig davon, dass ich schwerhörig bin"
Innerhalb der Mannschaft ist es schon längst kein großes Thema mehr, dass Wysocka schwerhörig ist. "Ich kommuniziere ganz normal mit meinen Mitspielerinnen, vor allem durch Sprechen", sagt die Angreifer. "Einige möchten jetzt auch Gebärdensprache lernen, was ich natürlich toll finde. Ich habe ihnen bereits ein paar Zeichen beigebracht." Mit Claire Alfes steht zudem eine weitere Spielerin im Kader, die ebenfalls schwerhörig ist. "Mit ihr gebärde ich oft. Und sie unterstützt mich manchmal auch bei der Übersetzung."
Marina Buschinski ist sportliche Leiterin der Viktoria-Frauen und damit ganz nah an der Mannschaft dran. Auch die 36-Jährige findet nur lobende Wort für die Situation: "Amanda ist wirklich in jeder Hinsicht eine ganz tolle Person, die sich super einbringt. Natürlich hatten wir anfangs etwas Respekt vor der Konstellation, weil wir nicht genau wussten, welche Herausforderungen auf uns zukommen. Aber heute kann ich mit voller Überzeugung sagen, dass bei uns in bester Art und Weise Inklusion gelebt wird. Amanda Wysocka und Claire Alfes sind ganz normale Spielerinnen in unserem Kader, die auch gar keine Extrabehandlung wünschen."
Wysocka nickt und sagt zustimmend: "Für mich ist es kein großes Thema, dass ich schwerhörig bin. Ich möchte einfach zeigen, was ich auf dem Platz leisten kann. Das Wichtigste ist, dass ich gut spiele und mit meinem Team erfolgreich bin. Innerhalb der Mannschaft zählt die Leistung, und das verbindet uns." Auch Chefcoach Daniel Merten und Co-Trainerin Julie van Vügt kommen gerade auf die Anlage und begrüßen Wysocka herzlich. Das Training wird in 30 Minuten beginnen.
Aber wie funktioniert es in der Praxis, zwei gehörlose Spielerinnen in eine Mannschaft zu integrieren? Wie kann das Trainerteam gehörlosen Menschen die Taktik vermitteln. Wie bekommt Wysocka auf dem Platz mit, wenn die Schiedsrichterin oder der Schiedsrichter gepfiffen hat? "Fast immer werden diese Aspekte innerhalb der Gruppe gelöst", betont Buschinski. "Wenn es tatsächlich mal vorkommen sollte, dass Amanda eine Anweisung nicht versteht oder nicht mitbekommt, dann ist sofort immer eine Mitspielerin da und kann unterstützen. Aber es kommt immer seltener vor, dass das nötig ist."
Bei Regen fast taub
Wysocka trägt normalerweise immer zwei Hörgeräte, damit sie etwas mehr mitbekommt - so auch an diesem Abend im Sportpark Höhenberg. Wenn man deutlich und etwas lauter spricht, ist eine Kommunikation auch problemlos möglich. Schwierig wird es, wenn es regnet. Dann kann sie die Hörgeräte nicht verwenden und ist fast komplett taub. "Pfiffe höre ich dann meist noch, dennoch kann es manchmal Unsicherheiten geben, ob es ein Signal für mich ist oder für etwas anderes", sagt Wysocka. "Wenn der Schiedsrichter direkt mit mir spricht, verstehe ich ihn meistens gut. Aber in hektischen Situationen, wenn viele gleichzeitig reden, wird es schwieriger."
An diesem Abend im Sportpark Höhenberg ist Wysocka bester Laune - trotz des miesen Wetters. Zwei Tage später, am Sonntag, wird das letzte Spiel des Jahres bei Rot-Weiß Hütte auf dem Programm stehen. Viktoria wird mit 7:0 gewinnen, Wysocka die ersten drei Treffer erzielen. Die Kölnerinnen führen damit die Tabelle mit fünf Punkten Vorsprung an.
Man darf nicht vergessen: Die Viktoria ist erst in diesem Sommer aus der Kreisliga in die Bezirksliga aufgestiegen. Die vergangenen Wochen und Monate waren also äußerst erfolgreich. Nicht nur für Wysocka persönlich, sondern vor allem für die Mannschaft. "Wir wollen gerne den nächsten Schritt machen und in die Landesliga aufsteigen", sagt Wysocka. "Im Moment sieht es gut aus. Der Weg ist jedoch noch weit."
"Beim Futsal sammle ich viel Technik und Ausdauer"
Aber für sie ist Fußball viel mehr als Sieg, Unentschieden oder Niederlage. "Es bedeutet mir sehr viel, Teil einer Mannschaft zu sein und Fußball zu spielen", betont sie. "Fußball ist meine Leidenschaft und gibt mir die Möglichkeit zu zeigen, was ich kann - unabhängig davon, dass ich schwerhörig bin. Auf dem Platz zählt nur die Leistung und dort fühle ich mich frei und stark." Wysocka spielt Fußball, seit sie klein ist. Schon als Baby hatte sie immer einen Ball in der Hand. Mit sechs Jahren hat sie dann angefangen, in einer Mannschaft zu spielen. Seitdem ist der Fußball ein fester Bestandteil ihres Lebens.
Aber sie liebt nicht nur den Fußball, sie liebt auch die Hallenvariante Futsal. Und auch dort ist sie sehr erfolgreich. Sie war gerade 17 Jahre alt, als sie 2019 mit der Nationalmannschaft der Gehörlosen die Bronzemedaille bei den Futsal-Weltmeisterschaften in der Schweiz gewann. Auch auf Vereinsebene feiert sie Erfolge. So holte sie sich mit dem Gehörlosen-Turn- und Sportverein (GTSV) Essen 2020 den Titel in der Champions League, 2022 erreichte die Mannschaft den dritten Rang. Wysocka wurde hinterher jeweils als beste jüngste Spielerin geehrt. Im März dieses Jahres holte sie bei den Deaflympics, dem Olympia-Pendant des Gehörlosensports, mit dem deutschen Team überraschend die Bronzemedaille. Im kommenden Sommer steht die Futsal-Weltmeisterschaft für gehörlose Menschen an. Da will sie unbedingt dabei sein.
"Ich mag Futsal, weil es technisch anspruchsvoll und das Spieltempo sehr hoch ist", sagt sie. "Man muss viel sprinten, kurze Schritte machen und ist ständig in Bewegung, da das Spielfeld kleiner ist. Das liegt mir einfach. Beim Futsal sammle ich viel Technik und Ausdauer, die mir auch im Fußball helfen. Wenn keine großen Futsal-Turniere anstehen, konzentriere ich mich mehr auf Fußball. Im nächsten Jahr steht jedoch die Futsal-WM in Italien an, und ich freue mich sehr auf die Vorbereitung und die Lehrgänge."
Aber das ist noch Zukunftsmusik. Erst mal hat sie große Ziele mit Viktoria Köln. Und die Torjägerinnenkanone in der Bezirksliga möchte sie auch gerne gewinnen. Zunächst jedoch steht Weihnachten vor der Tür. Zeit zum Entspannen. Zeit, um Kraft zu tanken. Zeit, um zurückzublicken.