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[Foto: SSV Jeddeloh]
Der SSV Jeddeloh, den der ehemalige Nationaltorhüter und Europameister Oliver Reck in der Regionalliga Nord trainiert, hat mit der Verpflichtung von Konstantin Engel für Aufsehen gesorgt. Der 32 Jahre alte Defensivspezialist, der vor wenigen Tagen erstmals Vater wurde, kann auf eine bewegte Fußballer-Vergangenheit zurückblicken.
Mit der Erfahrung aus insgesamt 127 Erst- und Zweitligaspielen, 81 Einsätzen in der 3. Liga und vor allem zehn Länderspielen für Kasachstan soll der gelernte Automobilkaufmann beim SSV vorangehen und eine Führungsrolle übernehmen. "Die Gespräche mit Trainer Oliver Reck waren sehr gut", sagt Konstantin Engel. "Ich fühle mich in diesem familiären Umfeld, das beim SSV Jeddeloh dazugehört, sehr wohl."
Konstantin Engel, der von seinen Mitspielern überall nur "Koka" gerufen wird, ist gebürtiger Kasache, erblickte in Karaganda das Licht der Welt. Mit sechs Monaten verließen seine Eltern Kasachstan und wanderten nach Deutschland aus. Nach einigen Monaten in einem Auffanglager für Aussiedler fand Familie Engel ein Zuhause in der niedersächsischen Gemeinde Georgsmarienhütte, die zum Landkreis Osnabrück gehört.
Zum Fußball kam Konstantin über seinen älteren Bruder Viktor (inzwischen 39). Im Ort wohnten viele Kinder von Aussiedlern, die von Georgsmarienhüttes Jugendtrainer Christoph Bensmann "gescoutet" wurden. Er fragte bei den Eltern nach, ob Interesse an einer Vereinsmitgliedschaft besteht, wollte die Kinder von der Straße holen, das Gemeinschaftsgefühl stärken und den Familien dadurch den sozialen Anschluss an ihre neue Umgebung erleichtern. Damit hatte Bensmann entscheidenden Anteil am fußballerischen Werdegang von Konstantin Engel, der sich dankbar zeigt: "Ich habe noch immer Kontakt zu meinem Förderer."
"Wir sind nur hinterhergelaufen. Ich bin mehr Kilometer gelaufen, als ich Ballkontakte hatte"
Schon im Alter von fünf Jahren spielte Konstantin für den SV Viktoria 08 Georgsmarienhütte bei den Minikickern im Sturm, erzielte zahlreiche Tore. Ab der C-Jugend wurde er aber von seinen Jugendtrainern im Mittelfeld eingesetzt, zeigte dort seine Qualitäten und machte auf sich aufmerksam. "Ich lebe den Traum meines Bruders Viktor, der ebenfalls Profi werden wollte, es aber nicht geschafft hatte", sagt Konstantin Engel. "Er hat mich auf meinem Weg immer unterstützt und begleitet."
In der B-Jugend angekommen, streckte der VfL Osnabrück erstmals seine Fühler nach "Koka" aus. "Ich sollte als Jungjahrgang beim VfL in der B 2 spielen, entschied mich aber dagegen, wollte noch in Georgsmarienhütte bleiben. Unser Team spielte damals schließlich mit der B 2 des VfL in einer Liga." Mit seinem Heimatverein gewann Konstantin Engel tatsächlich die Meisterschaft und wechselte ein Jahr später zum größeren Nachbarn, schaffte dort den Sprung in den Profifußball.
Insgesamt sieben Jahre spielte er für die Lila-Weißen, stand bei seinem ersten Zweitliga-Einsatz am 15. August 2008 beim FC St. Pauli (2:2) als 20-Jähriger auf Anhieb in der Startelf. Dem Abstieg 2009 folgte ein Jahr später als Meister der 3. Liga der direkte Wiederaufstieg in die 2. Bundesliga. Doch dort konnte sich der VfL erneut nicht halten, zog in der Relegation gegen Dynamo Dresden (1:1, 1:3 nach Verlängerung) den Kürzeren. Deshalb entschied sich Engel 2011 zum Wechsel von Niedersachsen in die Lausitz - zum damaligen Zweitligisten FC Energie Cottbus .
Dort reifte "Koka" zum Nationalspieler, wurde 2012 erstmals zur Nationalmannschaft von Kasachstan eingeladen. Das erste Länderspiel für sein Heimatland war keine Offenbarung, ging in Armenien 0:3 verloren. "Es war schon eine große Umstellung", blickt Konstantin Engel in den Rückspiegel. Im Alter von zehn Jahren hatte er zuletzt seine Großeltern in Kasachstan besucht, kehrte dann als Erwachsener und Nationalspieler zurück, sah seine Heimat mit ganz anderen Augen.
Die Kommunikation im Nationalteam war nur eines von vielen Problemen, die ihn begleiteten. Kaum jemand im Team sprach oder verstand Deutsch oder Englisch. Es wurde entweder Kasachisch oder Russisch gesprochen. Auch die Ansprache des Trainers in der Kabine fand auf Russisch statt. "Ich habe zwar fast alles verstanden, sprach aber selbst wenig Russisch", so Engel.
Zum Glück stand ihm Heinrich Schmidtgal, der damals ebenfalls in Deutschland für den Traditionsverein Rot-Weiß Oberhausen am Ball war, bei der Nationalmannschaft helfend zur Seite. Mit Schmidtgal teilte er sich das Zimmer. Der heute 35-Jährige brachte Neuling "Koka" die Leute und das Land näher.
Insgesamt zehn Länderspiele absolvierte Konstantin Engel für sein Heimatland. Dabei bleibt ihm vor allem die 1:4-Niederlage im WM-Qualifikationsspiel gegen den späteren Weltmeister Deutschland im März 2013 in Nürnberg wohl für immer im Gedächtnis.
"Unsere Taktik war klar: Hinten reinstellen und auf Konter lauern", so Engel. "Es war im Mittelfeld gegen Mesut Özil, Sami Khedira oder Ilkay Gündogan sehr, sehr schwer, überhaupt an den Ball zu kommen. Deutschland verfügte über einen Kader, der später in Brasilien nicht von ungefähr den Titel holte. Auch Thomas Müller, Mario Götze, Philipp Lahm, Jéerôme Boateng und Manuel Neuer waren dabei. Wir sind nur hinterhergelaufen. Ich bin mehr Kilometer gelaufen, als ich Ballkontakte hatte", sagt er mit einem Grinsen. "Uns war klar, dass wir verlieren werden. Die Frage der Höhe war entscheidend. Am Ende hört sich ein 1:4 besser als ein 0:9 an. Dass mein Freund Heinrich Schmidtgal dann sogar noch für uns getroffen hatte, freute mich besonders."
Von Energie Cottbus wechselte Konstantin Engel 2013 in den Süden der Republik, schloss sich dem damaligen Zweitligisten FC Ingolstadt 04 an. Erfolgstrainer Ralph Hasenhüttl (aktuell FC Southampton) hatte die Mannschaft als Tabellenletzter übernommen und in seinem ersten Jahr noch auf den zehnten Tabellenplatz geführt. In der Saison darauf folgte der Aufstieg in die Bundesliga.
"Damit ging für mich ein Traum in Erfüllung", schwärmt Konstantin Engel. "Im Umfeld hatte keiner damit gerechnet, dass wir so konstant punkten würden. Als wir dann aber dem Ziel immer näherkamen, wollten wir uns das auch nicht mehr nehmen lassen."
Ganz oben angekommen, lernte "Koka" Engel dann aber auch die Kehrseite im Fußballgeschäft kennen. Zum Saisonauftakt stand er in der Partie beim 1. FSV Mainz 05 (1:0) noch in der Startelf des FCI, verletzte sich dann jedoch im ersten Heimspiel gegen Borussia Dortmund (0:4) schwer. "Es war derart schlimm, dass die Ärzte mir sagten, ich sei nur knapp an einer künstlichen Hüfte vorbeigeschrammt. Zum Glück ist es nicht soweit gekommen", erinnert er sich. Konstantin Engel fiel längere Zeit aus, kam danach bis auf zwei Kurzeinsätze gegen den VfB Stuttgart und Borussia Mönchengladbach nicht mehr zum Zug. Als er sich dann noch einen Innenbandteilabriss im Knie zuzog, war das erfolgreiche Kapitel beim FC Ingolstadt 04 beendet.
Da sein Vertrag in Ingolstadt ausgelaufen war, er keine Einsatzzeiten mehr hatte und in Deutschland kein passendes Angebot bekam, versuchte Konstantin Engel sein sportliches Glück auch auf Vereinsebene in der Heimat, heuerte beim kasachischen Spitzenklub FC Astana an. "Es war leider nur ein kurzes Vergnügen", denkt der Defensivspieler ungern an diese Zeit zurück.
Es gab Probleme mit den Papieren. Engel bekam keine Spielberechtigung, brach seine Zelte nach nur eineinhalb Monaten ab. "Man durfte nur mit Visum einreisen, dann aber lediglich zwei Wochen bleiben. Ich flog also mehrmals zwischen beiden Ländern hin und her, bis es mir zu bunt wurde." Es folgte im Januar 2017 die Rückkehr zu seinem Ausbildungsverein VfL Osnabrück, für den er weitere viereinhalb Jahre kickte.
Dabei wiederholte sich die Geschichte: Als Meister der 3. Liga gelang 2019 unter Trainer Daniel Thioune die Rückkehr in die 2. Bundesliga. Zwei Jahre später jedoch reichte es erneut in der Relegation nicht zum Klassenverbleib - diesmal ausgerechnet gegen Engels Ex-Klub aus Ingolstadt (0:3, 3:1). Und erneut verabschiedete sich "Koka" von der Bremer Brücke, kickt künftig in der vierthöchsten deutschen Spielklasse.
Beim Wechsel zum SSV Jeddeloh in die Regionalliga Nord spielte sicherlich auch die Geburt von Söhnchen Noah vor wenigen Tagen eine wichtige Rolle. "Ich will einfach mehr Zeit mit meiner Familie verbringen", betont Konstantin Engel. Dafür nimmt er auch gerne die eineinhalb Stunden, die er jeden Tag vom heimischen Osnabrück bis nach Jeddeloh pendelt, in Kauf. "Voraussichtlich werde ich meine Karriere in Jeddeloh ausklingen lassen", sagt er freimütig.
Vor allem aber will Konstantin Engel am Küstenkanal wieder regelmäßig auf dem Platz stehen und den Spaß am Fußball zurückgewinnen, möglichst viele Spiele bestreiten und gewinnen. "Jeder Fußballer träumt von der Meisterschaft, aber das hat jetzt keine Priorität", erklärt der "Aufstiegsexperte". Am Samstag, 14. August (ab 15 Uhr), startet der SSV Jeddeloh in der Süd-Gruppe der Regionalliga Nord mit einem Heimspiel gegen die U 23 von Hannover 96 in die neue Saison 2021/2022. "Ich traue unserem Team definitiv eine gute Rolle zu", so Engel.
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