Talentschmiede |10.11.2020|12:30

Männer-Kreisliga und Juniorinnen-Bundesliga

SSV-Trainer Mike Lerche: "Gerade in der Region Ahaus und Coesfeld gibt es viele Talente."[Foto: SSV Rhade/Collage FUSSBALL.DE]

Bayer Leverkusen, SGS Essen, 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach: Die Namen der Mannschaften, die in der Bundesliga West/Südwest der B-Juniorinnen spielen, haben klingende Namen. Und dann gibt es da noch den SSV Rhade.

Der Dillenweg in Dorsten: Ländlich ist es hier, drumherum gibt es ein paar Supermärkte und eine Filiale der Volksbank, aber ansonsten? Ansonsten geben sich hier einige der besten Fußballerinnen der Jahrgänge 2004 und jünger regelmäßig die Ehre. Die Sportanlage am Dillenweg 115 bietet mit Natur- und Kunstrasen optimale Bedingungen für die insgesamt 18 Teams, die hier Fußball spielen. Im Sommer kam nun in Eigenregie eine kleine Tribüne hinzu, um das Rhader Schmuckkästchen noch hübscher zu machen. Dass hier ein Team in der höchsten Spielklasse mitmischt, ist dennoch eine Sensation.

Die erste Herrenmannschaft kickt in der Kreisliga B, die Junioren sind in einer Spielgemeinschaft mit den Nachbarn Lembeck und Deuten in der Bezirksklasse oder ebenfalls auf Kreisebene am Ball. Etwas weiter sind da schon die Wege für das weibliche Geschlecht unter den Fußballer*innen in Dorsten-Rhade. Die ersten Frauen spielen in der Westfalenliga und die B-Juniorinnen eben ganz oben.

Der Erfolg der SSV-Mädels ist mit zwei Personen eng verknüpft: Teamleiter Dieter Müssner und Trainer Mike Lerche. Während Müssner schon länger im Verein ist, kam Lerche vor fünf Jahren hinzu. Seine Tochter Angeline gehört heute zu den Rhader Stammspielerinnen in der höchsten Spielklasse. "Ich habe die U 17-Mädchen in der Westfalenliga übernommen, dann sind wir in die Regionalliga aufgestiegen und jetzt sogar in die Bundesliga", freut sich der 43-Jährige.

"Vorher ist man aufgeregt, aber wenn die Partie angepfiffen wird, ist auch ein Spiel in Leverkusen so wie jedes andere"

Fahrdienst für Talente aus der Region

Um geeignete Spielerinnen für den SSV Rhade zu begeistern, sind Dieter Müssner, Mike Lerche und ihre Mitstreiter in der gesamten Umgebung unterwegs, sie scouten im nahen Ruhrgebiet ebenso wie im westlichen Münsterland. "Gerade in der Region Ahaus und Coesfeld gibt es viele Talente, die andere Vereine nicht so auf dem Zettel haben", verrät Mike Lerche.

Viele kicken bis zum Alter von 13, 14 Jahren bei den Jungs und lernen neben den notwendigen technischen Fähigkeiten auch, sich durchzusetzen. "Das ist für uns Gold wert", so Mike Lerche, früher Torhüter bei der DJK Coesfeld. Dann folgt für die Teenager der nächste Schritt. Mit der Aussicht, sich in der Bundesliga gegen Leverkusen, Essen, Köln oder Gladbach messen zu dürfen, kann ihnen der SSV Rhade beste Argumente liefern. Das spricht sich sogar 50 Kilometer von Dorsten entfernt herum. Jacqueline Pönsgen lebt in Ratingen und kickte bisher bei Rot-Weiß Lintorf – mit einer Zweitspiel-Genehmigung für die SGS Essen. Doch um in der Bundesliga spielen zu können, nimmt die 16-Jährige beziehungsweise ihre Eltern gerne weite Fahrten in Kauf. "Wir haben einen eigenen Fahrdienst. Das sind zwei Rentner, die unsere Mädels aus der Umgebung zum Training abholen und nachher wieder nach Hause bringen", berichtet Mike Lerche.

Apropos weite Fahrten: In der Bundesliga West/Südwest lernen die Rhaderinnen Deutschland kennen. Am 10. Oktober waren sie beim TuS Issel zu Gast, das liegt an der Mosel kurz vor Trier. Ende November wäre es nach Speyer und Mitte Dezember nach Bad Neuenahr  gegangen, erst im Frühjahr 2021 wartet dann der 1. FC Saarbrücken auf die Mädels aus Dorsten. "Das bedeutet für uns natürlich einen ziemlichen organisatorischen Aufwand", erklärt Mike Lerche und fügt lachend an: "Wir haben das so regeln können, dass die Mädchen bei einer weiten Auswärtsreise freitags früher schulfrei kriegen und wir dann mit dem Mannschaftsbus losfahren und in einer Jugendherberge vor Ort übernachten. Das ist so ein bisschen wie auf einer Klassenfahrt."

0:1 gegen Bayer Leverkusen

Angst vor den teilweise großen Namen in der Bundesliga haben die Spielerinnen aus dem kleinen Rhade nicht. Als es am 17. Oktober zu Bayer Leverkusen ging, sei zwar die Anspannung spürbar gewesen, aber: "Vorher ist man aufgeregt, aber wenn die Partie angepfiffen wird, ist es eigentlich wie in jedem anderen Spiel auch. Dann konzentriert man sich auf die Sache und will seine beste Leistung abrufen", schildert Mike Lerche seine noch recht frischen Eindrücke vom achtbaren 0:1 seiner jungen Truppe beim renommierten Werksklub vom Rhein.

Obwohl der SSV mit seinen Bundesliga-Juniorinnen ein ideales Sprungbrett für einen Wechsel zu einem größeren Klub bietet, bleiben die meisten Spielerinnen Rhade treu. Die erste Frauenmannschaft besteht zu über 90 Prozent aus Eigengewächsen. Ob das allerdings so bleiben und der SSV Rhade auch in Zukunft noch eine der attraktivsten Adressen für talentierte Kickerinnen aus der Region sein wird, hängt auch von der sportlichen Entwicklung zweier Schwergewichte im Fußball zusammen. Die Rede ist natürlich von Schalke 04 und Borussia Dortmund – und deren Start in den Frauenfußball.

"Einerseits ist das gut für den Frauen- und Mädchenfußball, weil Schalke und Dortmund mit ihren Namen logischerweise ziehen", sagt Mike Lerche, aber: "Das ist natürlich eine Konkurrenz für kleine Vereine, denn viele Mädchen werden sich überlegen, ob sie lieber für Schalke oder Dortmund auflaufen oder für uns." Bis es aber bei den großen Nachbarn so weit ist, ist es eben der SSV Rhade, der in der Bundesliga spielt – und nicht S04 oder der BVB.