5:5 nach 0:5: Ausgleich in der Nachspielzeit
[Foto: Bayer 04 Leverkusen/Collage FUSSBALL.DE]
Der U 23 von Bayer 04 Leverkusen gelang in der Regionalliga West der Frauen eine spektakuläre Aufholjagd. Nach einem 0:5-Rückstand sprang gegen die Sportfreunde Siegen noch ein 5:5 heraus. Die eingewechselte Melina Hamm traf in der Nachspielzeit zum Ausgleich - und das in ihrem ersten Spiel seit rund 16 Monaten. Im FUSSBALL.DE-Interview spricht die 17-jährige Abiturientin über das doppelte Comeback.
FUSSBALL.DE: Haben Sie eine so verrückte Aufholjagd schon einmal erlebt, Frau Hamm?
Melina Hamm: Nein, noch nie. Das war für uns alle ein neues Erlebnis. (lacht)
Kurz vor der Pause gelang Chiara Bücher der erste Leverkusener Treffer. Wie groß war zur Halbzeit die Hoffnung, das Spiel noch zu drehen?
"Wer in der U 23 eines Bundesligisten spielt, sollte immer das Ziel haben, sich für die erste Mannschaft anzubieten"
Hamm: Ich würde lügen, wenn ich jetzt behaupten würde, dass wir fest davon überzeugt davon waren, noch den Ausgleich zu schaffen. Selbst nach dem 2:5 und dem 3:5 schien das noch weit weg zu sein. Es war eher so, dass wir nach dem klaren Rückstand Schadensbegrenzung betreiben und nicht noch deutlicher verlieren wollten. Dass wir in dieser Situation nichts mehr zu verlieren hatten, war am Ende vielleicht sogar hilfreich.
Gehören Comebackqualitäten grundsätzlich zu den Stärken der Mannschaft?
Hamm: Die Mentalität im Team stimmt definitiv. Dennoch muss ich zugeben, dass es bisher nicht unbedingt an der Tagesordnung war, dass wir Rückstände umbiegen. Ich hätte natürlich nichts dagegen, wenn sich das jetzt mit diesem Spiel geändert hat.
Sie wurden beim Stand von 2:5 eingewechselt. Was hat Ihnen Trainer Dino Schacht mit auf den Weg gegeben?
Hamm: Es war mein erster Einsatz nach einer langen Pause wegen eines Kreuzbandrisses. Der Trainer hat mir gesagt, dass es doch ein günstiger Spielstand sei, um sein Comeback zu geben. Schließlich sah es ja so aus, als sei die Partie entschieden. Ich sollte mir keinen Druck machen und einfach mein Bestes geben.
Ihr letztes Pflichtspiel lag fast 500 Tage zurück. Waren Sie sehr nervös?
Hamm: Zugegeben: Vor dem Spiel hatte ich schon ein flaues Gefühl im Magen. Als ich dann reinkam, war das aber wie verflogen und ich war sofort komplett drin.
Beschreiben Sie doch mal das Gefühl, als Ihnen in der Nachspielzeit der Ausgleich gelang.
Hamm: Als der Ball zu mir kam, war mir sofort klar, dass ich jetzt die große Chance habe, das Tor zu machen. In diesem Moment sind mir tausend Gedanken durch den Kopf gegangen. Ich dachte, was passiert jetzt, wenn ich diese Möglichkeit auslasse und nicht treffe? Solche Gedanken sind ja normalerweise alles andere als hilfreich. Zum Glück ist es dennoch gutgegangen. Anschließend war die Freude bei mir und meinen Mitspielerinnen natürlich riesig. Noch größer war aber die Verwunderung, dass wir tatsächlich noch das Unentschieden geschafft hatten. Selbst mit einigen Tagen Abstand kann ich das immer noch nicht richtig glauben. Vielen Mädels und den Zuschauer*innen geht es sicherlich ähnlich.
Wie schwer war es, über viele Monate auf das Comeback hinzuarbeiten?
Hamm: Ich hatte damit leider schon Erfahrung, weil es bereits mein zweiter Kreuzbandriss war. Ich konnte deshalb ganz gut mit der Situation umgehen und war hochmotiviert, erneut zurückzukommen. Wenn dann ein solches Comeback gelingt, ist es eine ganz besondere Entschädigung für die harte Arbeit in der Reha.
Wie sind die Reaktionen in Ihrem Umfeld ausgefallen?
Hamm: Meine Mannschaft, meine Familie und Freunde haben sich sehr mich für gefreut. Alle hatten mich aber auch schon während meiner Verletzungszeit immer unterstützt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Für die U 17 von Bayer 04 Leverkusen waren Sie in der B-Juniorinnen-Bundesliga am Ball. Jetzt spielen Sie für die U 23 in der dritthöchsten Spielklasse. Träumen Sie vom Sprung in die erste Mannschaft, die in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga an den Start geht?
Hamm: Klar wäre das ein Traum. Wer in der U 23 eines Bundesligisten spielt, sollte immer das Ziel haben, sich für die erste Mannschaft anzubieten.
Wie ist der Kontakt zum Bundesligateam?
Hamm: Frauen-Cheftrainer Achim Feifel schaut sich regelmäßig unsere Spiele an. Es werden auch immer wieder U 23-Spielerinnen zum Training der ersten Mannschaft eingeladen, können sich dann dort empfehlen. Erst vor wenigen Monaten hat mit Annika Enderle eine unserer Teamkolleginnen den Sprung in den Bundesligakader geschafft und wurde auch schon zweimal eingesetzt. Das spornt uns alle ebenfalls an.
In der Schule bereiten Sie sich gerade auf Ihr Abitur vor. Wie hoch ist der Aufwand, den Sie aktuell für den Fußball betreiben?
Hamm: Wir haben neben den Spielen dreimal pro Woche Training. Dazu kommen aber auch noch individuelle Einheiten. Zusammen mit der Schule ist das schon eine Doppelbelastung, aber es klappt bisher ganz gut. Dass die Entfernung zwischen meinem Wohnort Solingen und Leverkusen nicht allzu groß ist, macht es ein wenig leichter.
Haben Sie ein fußballerisches Vorbild?
Hamm: Ich habe jetzt kein bestimmtes Idol, wenn Sie das meinen. Ich mag technisch starke und vor allem gedankenschnelle Spieler, die eine Partie lenken können. Daher bin ich schon ein Fan von Lionel Messi. Super finde ich auch die Spielweise von Florian Wirtz aus unserem Männerteam. Es ist beeindruckend, wie er trotz seines jungen Alters in der Bundesliga und in der Nationalmannschaft auftritt. Da schaue ich gerne zu. Seine Schwester Juliane spielt ja auch für unser Frauen-Bundesligateam.
Wie lauten Ihre weiteren Pläne?
Hamm: Nach dem Abitur möchte ich mit einem Sportstipendium für einige Jahre in die USA gehen, dort studieren und gleichzeitig Fußball spielen. Ein Traum wäre die Harvard University, aber auch mit einer Hochschule in Florida stehe ich in Kontakt. Mit den jeweiligen Trainern habe ich mich auch schon ausgetauscht. Das Studium könnte in die Richtung Film oder Musik gehen. Ich bin da aber noch nicht endgültig festgelegt.
Sie werden im Mai gerade einmal 18 Jahre. Wird es Ihnen nicht schwerfallen, alleine in die Vereinigten Staaten zu gehen?
Hamm: Die Frage kann ich Ihnen erst später beantworten. Bisher habe ich ja noch keine entsprechenden Erfahrungen gemacht. (lacht) Ich würde mich aber schon als recht selbstständig und auch abenteuerlustig bezeichnen. Das sind zumindest schon mal ganz gute Voraussetzungen, um einige Zeit weit weg von der eigenen Familie zu leben.