Coach Parlatan: Aus Süper Lig nach Steinbach
[Foto: Björn Franz Photography]
Mit dem neuen Trainer Ersan Parlatan greift der TSV Steinbach Haiger in der Regionalliga Südwest die Tabellenspitze an. Der 44 Jahre alte Fußball-Lehrer war bis Dezember Co-Trainer beim türkischen Erstligisten Konyaspor und eilt jetzt mit seinem neuen Klub von Sieg zu Sieg. Im FUSSBALL.DE-Interview spricht Parlatan über die Zeit in der Türkei und seinen erfolgreichen Start bei Steinbach Haiger.
FUSSBALL.DE: Sechs Spiele, fünf Siege und ein Remis: Der Start beim TSV Steinbach Haiger hätte viel besser nicht laufen können, oder Herr Parlatan?
Ersan Parlatan: Das stimmt - wobei auch die perfekte Punkteausbeute möglich gewesen wäre. (lacht) Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit unseren Leistungen aus den vergangenen Wochen. Das betrifft die Punktzahl, aber auch die Art und Weise, wie wir in jedem Spiel aufgetreten sind.
Wie erklären Sie sich den erfolgreichen Auftakt in Ihre Amtszeit?
Parlatan: Unser Team besteht aus sehr aufnahmefähigen und wissenshungrigen Spielern. Jeder hat sich schnell auf einen neuen Trainer mit anderen Charaktereigenschaften eingelassen. Trotz einiger Coronafälle und schwankender Witterungsverhältnisse hatten wir eine sehr gute Vorbereitung. Man hat gemerkt, dass jeder Einzelne extrem heiß auf die zweite Saisonhälfte ist. Unser Fokus lag auf der Defensivarbeit. Wir wollten kompakter werden und weniger zulassen. Ich denke, dass uns das in den ersten fünf Begegnungen mit nur zwei Gegentoren bereits gut gelungen ist.
Der Rückstand auf die Spitze beträgt nur noch einen Zähler. Der Traum vom Profifußball in Steinbach Haiger lebt, oder?
Parlatan: Das Vereinsumfeld darf sicherlich träumen und sich über die aktuellen Erfolge freuen. Wir tun das nicht, sondern fokussieren uns auf unsere Arbeit. Es bringt uns nicht weiter, zu weit in die Zukunft zu schauen. Wichtig ist immer nur die nächste Aufgabe. Verlierst du den Fokus, verlierst du auch wieder Spiele. Das darf uns nicht passieren.
Für Sie war der Wechsel zum TSV Steinbach Haiger auch die Rückkehr nach Deutschland nach mehr als zwei Jahren im türkischen Profifußball. Dort waren Sie bis Dezember 2021 Co-Trainer des Erstligisten Konyaspor. Wie war die Zeit in der Türkei für Sie?
Parlatan: Sehr spannend. Ich habe viele neue Erfahrungen gesammelt und bin froh, bei Göztepe und Konyaspor Profiluft geschnuppert zu haben. Ich konnte mich intensiv mit dem türkischen Profifußball auseinandersetzen und individuell mit Erstligaspielern zusammenarbeiten. Außerdem habe ich die Zusammenarbeit mit Cheftrainer Ilhan Palut genossen. Wir waren sehr erfolgreich. Konyaspor steht derzeit sogar hinter Trabzonspor auf dem zweiten Tabellenplatz der Süper Lig.
Wie unterscheidet sich der türkische vom deutschen Fußball - und welche Gemeinsamkeiten gibt es?
Parlatan: Der größte Unterschied ist vermutlich die Nachwuchsförderung. Während in Deutschlands Nachwuchsleistungszentren die Jugendspieler als fast fertige Profis in den Herrenbereich kommen und athletisch sowie taktisch bestens geschult sind, gibt es in der Türkei deutliches Optimierungspotenzial. Die Nachwuchsarbeit ist nicht ansatzweise so professionell. Dadurch benötigen Talente deutlich länger, um im Profibereich Fuß zu fassen. Das ist für mich auch eine Erklärung dafür, dass der türkische Fußball im europäischen Vergleich hinterherhinkt und die Klubs in den internationalen Wettbewerben häufig früh ausscheiden. An individueller Klasse fehlt es in der Süper Lig dagegen nicht. Wie auch in der Bundesliga gibt es viele starke Einzelspieler. Aber auch bei diesen Spielern fällt auf, dass es physische Defizite gibt. Um auch international erfolgreicher zu werden, muss insgesamt in der Türkei noch einiges getan werden.
Wie kam es für Sie zur Rückkehr nach Deutschland?
Parlatan: Es war immer mein Ziel, wieder als Cheftrainer zu arbeiten. Das war auch mit Konyaspor von Beginn an besprochen. Ob das in der Türkei oder in Deutschland der Fall sein würde, war mir in erster Linie nicht so wichtig. Kontakt zu einigen deutschen Vereinen hatte ich immer mal wieder. Konkret wurde es dann aber erst beim TSV Steinbach Haiger.
Empfinden Sie den Wechsel von der 1. Liga in der Türkei in die Regionalliga Südwest nicht als Rückschritt?
Parlatan: Ich selbst nicht, aber viele Trainerkollegen und Freunde haben mir diese Frage auch gestellt. (lacht) Erst einmal muss man dazu sagen, dass die 1. Liga in der Türkei nicht mit der Bundesliga zu vergleichen ist. Daher war es für mich auch nicht unbedingt ein Wechsel in eine drei Ligen tiefere Spielklasse. Außerdem muss man festhalten, dass der deutsche Trainermarkt nicht auf Ersan Parlatan gewartet hat. Es ist nicht einfach, eine Stelle bei einem höherklassigen, ambitionierten Verein zu erhalten. Dennoch war für mich klar: Es musste mindestens ein ambitionierter Regionalligist sein, sonst ergibt es für mich keinen Sinn. Ich hatte bei Konyaspor ein gutes Standing und die Arbeit hat mir viel Spaß gemacht. Es musste also alles passen bei einem Wechsel. Bei der Anfrage von Steinbach Haiger hatte ich dann direkt ein gutes Gefühl. Es ist ein sehr interessanter und ambitionierter Klub, dessen positive Entwicklung ich seit Jahren verfolgt habe.
Lautet jetzt Ihr klares Ziel, in Deutschland Profitrainer zu werden und mit dem TSV Steinbach Haiger Geschichte zu schreiben?
Parlatan: Natürlich möchte ich so hoch wie möglich als Trainer arbeiten. Ich weiß, was ich kann. In der Regionalliga Nordost hatte ich damals bei Viktoria Berlin und beim Berliner AK erfolgreiche Zeiten und war bereits nah dran am Aufstieg in die 3. Liga. Beim TSV Steinbach Haiger sehe ich definitiv das Potenzial, den Schritt in den Profifußball gehen zu können. Aber noch einmal: Wir setzen uns erst einmal kleine und kurzfristige Ziele, um schlussendlich bestenfalls den großen Coup zu schaffen.