Bewusste Auszeit in Neuseeland
[Foto: privat]
Einmal bis ans Ende der Welt: Diesen Traum erfüllte sich Florian Kirstein von der BSG Chemie Leipzig aus der Regionalliga Nordost. Gemeinsam mit seiner Frau Lena reiste der 27 Jahre alte Offensivspieler drei Monate durch Neuseeland und Australien. Im FUSSBALL.DE-Interview spricht Kirstein über die bewusst gewählte Auszeit, den Umgang mit Stress und seine Rückkehr als Kabinen-DJ.
FUSSBALL.DE: Seit wenigen Wochen sind Sie nach Ihrer dreimonatigen Fernreise durch Neuseeland und Australien wieder zurück in Deutschland. Haben Sie mittlerweile schon wieder Fernweh, Herr Kirstein?
Florian Kirstein: Als wir nach drei Monaten in der Ferne wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind, gab es einen Moment, als wir uns gewünscht haben, wieder in den Flieger einzusteigen. Das lag vor allem daran, dass es hier Anfang März ziemlich grau war und für einige Tage sogar geschneit hat. Schließlich haben wir die Monate zuvor unter besten Bedingungen den Sommer auf der Südhalbkugel genossen. Im Großen und Ganzen sind wir aber mit einem guten Gefühl nach Deutschland zurückgekehrt.
Wie kam es überhaupt zu dem Gedanken, sich für eine so lange Zeit auf Reisen zu begeben?
"Ich hatte genug Zeit, darüber nachzudenken, warum wir uns in dieser Stressgesellschaft so schnell unter Druck setzen lassen."
Kirstein: Mit meiner Frau Lena, die ich schon seit der Schulzeit kenne, hatte ich schon immer den Plan, für eine längere Zeit zu verreisen. Aus verschiedenen Gründen - zum Beispiel wegen meines Studiums - hat es aber nie so richtig geklappt. Weil wir aber auch nicht mehr jünger werden und auch nie genau wissen, wie es möglicherweise mit eigenem Nachwuchs aussehen könnte, haben wir vor zwei Jahren den Entschluss gefasst, dieses Vorhaben nun wirklich in Angriff zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt musste ich nur noch meine Abschlussarbeit schreiben, um mein Masterstudium zu beenden. Es hat also gepasst, dass ich meinen Studentenstatus dazu nutze.
Wie hat Ihr Verein BSG Chemie Leipzig reagiert, als Sie Ihr Vorhaben angesprochen haben?
Kirstein: Ich habe schon frühzeitig mit offenen Karten gespielt. Bei der Vertragsverlängerung im Januar 2022 hatte ich dem Verein meine Pläne erläutert. Das wurde intern besprochen und der Entschluss gefasst, mir unter zwei Bedingungen ein neues Arbeitspapier zu unterbreiten. Zum einen, dass ich mir für meine Reise unbezahlten Urlaub nehme und zum anderen, dass ich während des Trips einen Trainingsplan einhalte, um nach meiner Rückkehr schnell wieder einsatzbereit zu sein. Das waren zwei Punkte, die für mich aber ohnehin selbstverständlich waren.
Warum war Ihre Wahl auf Australien und Neuseeland gefallen?
Kirstein: Bei der Vorbereitung auf die Reise haben wir uns viele Orte angeschaut. Unter anderem stand eine Rundreise in Asien ganz weit oben auf der Liste. Letztlich ist unsere Entscheidung aber auf Neuseeland gefallen, weil wir dort viel mehr Möglichkeiten zu wandern haben und dabei die Natur zu bestaunen. Und dann dachten wir uns, wenn wir schon mal in Neuseeland sind, dann können wir auch mal nach Australien rüber. Das liegt ja schließlich auf dem Weg. (lacht)
Dann ging es in den Flieger. Was haben Sie sich denn alles angeschaut?
Kirstein: Die ersten beiden Monate haben wir von Ende November bis Anfang Februar dieses Jahres in Neuseeland verbracht. Dort haben wir uns in der Großstadt Auckland einen Van mit eingebautem Bett und einer Küche gekauft, mit dem wir zu Beginn die Nordinsel umrundet haben. Die größten Berge der Nordinsel sind in der Regel Vulkane. Die Südinsel hingegen besteht mit den südlichen Alpen zum großen Teil aus Gebirgen. Der Tongariro-Nationalpark zum Beispiel auf der Nordinsel ist unter anderem auch durch die Filmserie "Herr der Ringe" bekannt geworden. Im Film diente der Ort als Kulisse für den Schicksalsberg. Um die dreimonatige Reise grob zusammenzufassen: Die Zeit in Neuseeland diente dazu, so viel wie möglich Natur zu bestaunen und dabei fußläufig das Land zu erforschen.
Wie sah Ihr Alltag während der Reise aus?
Kirstein: Uns war von Anfang an wichtig, möglichst flexibel zu sein. So ganz ohne Planung ging es aber doch nicht, sodass wir uns schon in Deutschland einen groben Plan zurechtgelegt hatten, welche Routen wir nehmen könnten. Der Hauptteil lag dann vor allem darin, die sogenannten "great walks" - also die sehenswerten Routen - zu bewandern. Es gab Wochen, in denen wir zu Fuß bis zu 160 Kilometer zurückgelegt haben. Und bei unserem Aufenthalt in Australien haben wir viel Zeit am Strand verbracht und die Zeit dafür genutzt, unsere Akkus wieder aufzuladen.
Können Sie sich vorstellen, komplett aus Deutschland in eines dieser beiden Länder auszuwandern und warum?
Kirstein: Diese Frage haben wir uns während unserer Zeit auch gestellt. Während unserer Wanderungen oder der längeren Autofahrten von einem Ort zum anderen hatten wir auch immer wieder genügend Zeit, die Reise zu analysieren. Wir sind aber tatsächlich zum Entschluss gekommen, dass wir unseren Lebensmittelpunkt dauerhaft in Deutschland sehen. Wenn man mal so lange weg ist, dann lernt man so einige Sachen doch sehr zu schätzen, die wir hier in Deutschland als selbstverständlich ansehen. Ein konkretes Beispiel ist das Gesundheitssystem.
Haben Sie sich durch diese Reise auch persönlich verändert?
Kirstein: Auf jeden Fall. Allerdings ist es schwierig, das an einer Sache festzumachen, die sich seitdem geändert hat. Vielmehr sind es tiefergehende Verhaltensweisen. Besonders habe ich gelernt, ganz anders auf Stress zu reagieren. Ich hatte genug Zeit, darüber nachzudenken, warum wir uns in dieser Stressgesellschaft so schnell unter Druck setzen lassen.
Was haben sich denn als Andenken an diese Zeit mitgenommen?
Kirstein: Gemeinsam mit meiner Frau haben wir uns ein Tattoo jeweils auf den Oberarm stechen lassen. Dabei handelt es sich um einen Wassertropfen, der sich auf dem Wasser spiegelt. Es ist ein Symbol der Achtsamkeit. Die eine Seite steht für die Vergangenheit, die andere für die Zukunft. Der Tropfen steht dann für den Moment. Damit wollen wir festhalten, dass wir mehr Wert auf den Moment legen sollen, statt in der Vergangenheit zu schwelgen oder zu versuchen, die Zukunft zu planen.
So eine Reise weckt sicherlich Lust auf mehr. Ist schon etwas für die Zukunft geplant?
Kirstein: Die Sommerpause werden wir für einen Urlaub in Griechenland nutzen. Aber auch dort wird Wandern wieder zum Programm gehören. Außerdem wollen wir in Zukunft wieder eine Fernreise in Angriff nehmen. Als nächstes Ziel haben wir bereits Asien festgelegt. Dann aber nicht über drei Monate, sondern deutlich kürzer. (lacht)
Zurück zum Alltag nach Deutschland: Waren Sie auch ein wenig froh, als Sie wieder zurück waren?
Kirstein: Umso länger die Reise dauerte, desto mehr hat man einige Sachen zu schätzen gelernt. Einfach mal abends auf der Couch zu liegen und entspannt fernzuschauen, war drei Monate lang nicht möglich. Auch die sozialen Kontakte mit unserer Familie, unseren Freunden oder auch meinen Teamkameraden haben mir sehr gefehlt. Da es eine zwölfstündige Zeitverschiebung gab, gehörte ein gewisser organisatorischer Aufwand dazu, mal einen Videoanruf zu starten. Daher bestand der Großteil unserer Kommunikation über Nachrichten. Außerdem bin ich froh, mal nicht nur auf Englisch zu reden.
Wie waren die Reaktionen von der Familie, von Freunden und Mitspielern?
Kirstein: Schon während der Reise wurde schnell klar, dass beiden Seiten etwas gefehlt hat. Besonders die Großeltern haben ihre Sorge nicht verstecken können. Schließlich waren wir auch für eine sehr lange Zeit am anderen Ende der Welt. Als wir dann aber zurück waren, haben sich alle riesig gefreut und waren gespannt auf unsere Geschichten aus dem Urlaub. Auch meine Teamkameraden waren froh, dass ich endlich wieder zurück bin. Nicht, weil ich ihnen auf dem Platz gefehlt habe, sondern eher, weil ich in der Kabine direkt wieder die Rolle als DJ übernommen habe. (lacht)
Ihr erstes Heimspiel im Alfred-Kunze-Sportpark nach Ihrer Rückkehr war das Derby gegen den 1. FC Lokomotive Leipzig. Sicherlich kein Zufall, oder?
Kirstein: Doch, tatsächlich! Als wir die Reise geplant und dann auch gebucht haben, war der Spielplan noch gar nicht veröffentlicht. Ich muss aber gestehen, dass es in der Tat das erste war, was ich gemacht habe, nachdem der neue Spielplan herausgekommen war. (lacht) Dass ich pünktlich zum Derby wieder zurück war, hätte nicht besser geplant sein können.