WSV-Coach Dogan: "Zweimal Bayern gegen ManU"
[Foto: IMAGO/Fotografie73]
Kaum zu glauben, aber wahr: Die ersten beiden Saisonspiele in der Regionalliga West gewann der aktuelle Vizemeister Wuppertaler SV bei Alemannia Aachen (2:1) und gegen die U 23 von Borussia Mönchengladbach (3:2) jeweils nach Rückständen durch zwei Tore in der Nachspielzeit. Am dritten Spieltag gewann der WSV 3:1 gegen die U 23 des FC Schalke 04 und erzielte erneut zwei Tore in der Schlussphase. Im FUSSBALL.DE-Interview spricht WSV-Trainer und Ex-Profi Hüzeyfe Dogan (42) über den furiosen Start des Traditionsklubs.
FUSSBALL.DE: Um wie viele Jahre sind Sie an den ersten beiden Spieltagen der neuen Saison gealtert, Herr Dogan?
Hüzeyfe Dogan: Es lagen doch nur acht Tage zwischen den beiden Partien. (lacht) Aber Spaß beiseite: Einige graue Haare sind auf jeden Fall dazugekommen. Es war sensationell, wie die Mannschaft in der Schlussphase performt und beide Spiele noch umgebogen hat.
Zweimal in Folge drehte Ihre Mannschaft erst in der Nachspielzeit einen Rückstand und verließ den Platz jeweils noch als Sieger. Haben Sie so etwas schon mal erlebt?
"Von Glück will ich gar nicht reden. Vielmehr hat sich die Mannschaft das erarbeitet"
Dogan: Nein. Vor allem hätte ich vorher nicht für möglich gehalten, dass es zweimal hintereinander passieren kann. Das war der pure Wahnsinn. Wie zweimal Bayern gegen ManU im Champions League-Finale 1999.
Als Aktiver waren Sie sogar selbst in der "Königsklasse" am Ball. Wie sehr nehmen Sie solche Erlebnisse dennoch mit? Ober bleiben Sie immer cool?
Dogan: Als Trainer versucht man natürlich, möglichst ruhig und gelassen zu bleiben. Auch wenn das nicht immer ganz einfach ist. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich die Welt nach dem zweiten Treffer der Gladbacher nicht mehr verstanden habe. Wie konnten wir das Spiel in Überzahl hergeben? Da haben wir uns nicht gut angestellt.
Was sagen die erfolgreichen Aufholjagden über Ihre Mannschaft aus?
Dogan: Zunächst einmal haben die Jungs bewiesen, dass sie konditionell voll auf der Höhe sind und über die gesamte Spielzeit marschieren können. Vor allem aber waren die Moral und der Glaube an die eigene Stärke entscheidend. Nach dem späten Ausgleich gegen Gladbach wäre der eine oder andere vielleicht wegen des Spielverlaufs mit einem Punkt zufrieden gewesen. Unsere Spieler aber haben den Ball aus dem gegnerischen Tor geholt und so schnell wie möglich zur Mitte gebracht, weil sie unbedingt noch gewinnen wollten. Das zeichnet das Team aus.
Dennoch war der Grat zwischen möglichen null und optimalen neun Punkten sehr schmal. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus dem Saisonstart?
Dogan: Man muss das differenziert betrachten. Auf der einen Seite ist es keine Selbstverständlichkeit, so spät noch jeweils zwei Tore zu erzielen. Auf der anderen Seite hätten wir aber in beiden Spielen auch gar nicht erst in Rückstand geraten müssen. Wir waren aktiver, hatten ein Chancenplus. Unsere Siege waren keineswegs unverdient. Auch wenn sie in der Art und Weise sicherlich ein wenig glücklich zustande gekommen sind.
Ihr Sportdirektor Gaetano Manno sprach davon, dass "das Glück jetzt aufgebraucht" sei. Könnte er Recht haben?
Dogan: Wie schon gesagt: Von Glück würde ich gar nicht reden. Vielmehr hat sich die Mannschaft das erarbeitet. Dennoch ist natürlich klar, dass wir jetzt nicht davon ausgehen können, jedes Spiel erst in der Nachspielzeit auf unsere Seite zu ziehen. Ich hätte auch nichts dagegen, mal einen souveränen Sieg einzufahren.
Nach dem dritten Platz und der Vizemeisterschaft in den beiden zurückliegenden Spielzeiten gehört der WSV zu den Titelfavoriten. Wie schätzen Sie die Chancen auf die Rückkehr in die 3. Liga ein?
Dogan: Wir sollten nicht den Fehler machen, jetzt auf die Tabelle zu schauen und uns mit dem Saisonende zu beschäftigen. Wir werden uns darauf konzentrieren, die nächsten kniffligen Aufgaben, gegen unseren Mitkonkurrenten SV Rödinghausen und beim 1. FC Köln II zu lösen. Das wird schwierig genug, auch wenn wir durch die ersten drei Saisonspiele viel Selbstvertrauen getankt haben.
Wie lautet denn Ihre persönliche Zielsetzung für diese Saison?
Dogan: Es ist kein Geheimnis, dass wir den nächsten Schritt machen, ganz oben angreifen und bis zum Ende zumindest in Schlagdistanz zur Spitze bleiben wollen. Dann werden wir sehen, wozu es reicht. Wichtig ist, dass sich die Mannschaft weiterentwickelt.
Welche Teams können bis zum Schluss um die Meisterschaft mitspielen?
Dogan: Aus meiner Sicht werden Alemannia Aachen und der SV Rödinghausen auf jeden Fall zu den Spitzenteams gehören. Fortuna Köln hat sich ebenfalls verstärkt. Auch der gute Saisonstart des Aufsteigers SC Paderborn 07 II kommt nicht von ungefähr. Das Team war schon während der Vorbereitung in einem Testspiel gegen uns sehr stark. Insgesamt gehe ich davon aus, dass es bis zum Schluss sehr spannend bleiben wird. Ich glaube nicht, dass sich eine Mannschaft frühzeitig von der Konkurrenz absetzen kann.
Ein Aufstieg könnte Ihnen auch die Tür für die Ausbildung zur Pro Lizenz öffnen und damit zur höchstmöglichen Stufe als Trainer. Eine lohnenswerte Aussicht?
Dogan: Das hört sich zumindest sehr interessant an. (lacht) Fakt ist, dass ich aktuell über die A-Lizenz verfüge und für die 3. Liga die Pro Lizenz benötigt wird. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, würde ich das sehr gerne wahrnehmen. Das ist aber noch ein weiter Weg.
Worauf legen Sie als Trainer besonderen Wert?
Dogan: Ich möchte den Spielern auf ihren verschiedenen Positionen Selbstbewusstsein einimpfen und sie zu mehr Ballbesitz ermutigen, damit sie sich auch in schwierigen Situationen etwas zutrauen und sich kontinuierlich verbessern. Das Team soll eine mutige und möglichst kreative Spielweise auszeichnen. Wir wollen spielerische Lösungen suchen.
Orientieren Sie sich an bekannten Trainergrößen? Wer imponiert Ihnen besonders?
Dogan: Von den Trainern, mit denen man als Spieler zusammenarbeitet, nimmt man sicherlich einiges mit. Dazu schaut man sich auch von prominenten Trainern, die auf höchster Ebene arbeiten, einiges ab. Entscheidend ist aber, seine eigenen Ideen und Vorstellungen vom Fußball einzubringen und umzusetzen. Wer mich besonders beeindruckt, sind Trainer wie Frank Schmidt in Heidenheim, Christian Streich in Freiburg oder Urs Fischer bei Union Berlin. Alle sind schon lange im Verein und machen aus wenig sehr viel.
Zurück zum WSV: Unter anderem mussten Sie vor der Saison mit Serhat-Semih Güler Ihren erfolgreichsten Torschützen zum FC Hansa Rostock in die 2. Bundesliga ziehen lassen. Wie gut konnte sein Abgang kompensiert werden?
Dogan: Mit seiner Spielweise, Geschwindigkeit und Abschlussstärke war Güler für uns in der abgelaufenen Saison praktisch unersetzlich. Von daher tat sein Abschied weh. Wir haben dann aber versucht, uns breiter aufzustellen, und haben mit Charlison Benschop sowie Damjan Marceta zwei Stoßstürmer dazubekommen, die Bälle festmachen, aber auch in die Tiefe gehen können. Dazu sind beide auch noch kopfballstark, was nicht zu Gülers besonderen Qualitäten gehörte. Beide sind damit zwar kein 1:1-Ersatz, bieten uns aber gemeinsam oder auch abwechselnd noch zusätzliche Optionen. Das läuft bisher sehr gut.
Noch bis November steht das heimische Stadion am Zoo wegen Umbaumaßnahmen am Spielfeld nicht zur Verfügung. Bislang wurden jedoch sämtliche Heimspiele in den Ausweichspielstätten in Oberhausen und zuletzt in Velbert gewonnen. Mal mit einem Augenzwinkern gefragt: Wären Sie froh, wenn sich die Arbeiten noch hinziehen?
Dogan: Ich will es mal so sagen: Genau wie zuvor in Oberhausen finden wir jetzt auch in Velbert einen sehr gut bespielbaren Platz vor. Das kommt den Qualitäten unserer Mannschaft auf jeden Fall entgegen. Wenn das Zoo-Stadion in zwei bis drei Monaten wieder zur Verfügung steht, wird der Platz dort allerdings auch in einem ausgezeichneten Zustand sein. Wenn ich sage, dass wir uns alle darauf freuen, so bald wie möglich wieder richtige Heimspiele bestreiten zu dürfen, verrate ich sicherlich kein Geheimnis. Wichtig wird sein, die Fans bis dahin weiter zu begeistern, damit das Stadion dann auch gut gefüllt sein wird.
Trotz des spektakulären Auftaktsieges vor 27.300 Fans in Aachen war die IMS Arena in Velbert, die gerade einmal 2800 Zuschauer*innen Platz bietet, gegen Gladbach längst nicht ausverkauft. War das eine Enttäuschung für Sie?
Dogan: Wir hatten nach dem Aachen-Spiel schon auf ein volles Stadion gehofft. Das hatte sich die Mannschaft auch verdient. Ich muss aber dazu sagen, dass uns die Fans, die vor Ort waren, ausgezeichnet unterstützt und angefeuert haben. Von daher hatten auch sie ihren Anteil an der späten Wende. Wir können auf dem Platz nur alles dafür tun, um die Menschen mit guten Leistungen neugierig zu machen.
Mit welchem Aufwand ist der Umzug in ein "fremdes" Stadion grundsätzlich verbunden?
Dogan: Da die Entfernung nach Velbert deutlich geringer ist als zuvor nach Oberhausen, ist das kein großes Problem. Wir trainieren unter der Woche ganz normal in Wuppertal und treffen uns an den Spieltagen direkt in Velbert. Von daher fühlt sich das schon deutlich mehr nach einem Heimspiel an, als es noch in Oberhausen der Fall war, zumal die Fans auch wesentlich näher am Spielfeld dran sind als im Stadion Niederrhein.
Worauf wird es im weiteren Saisonverlauf vor allem ankommen?
Dogan: Defensiv geht es darum, gut strukturiert und organisiert gegen den Ball zu arbeiten. Nach vorne wollen wir weiterhin mutig sein, bei unseren Aktionen möglichst klar zum Abschluss kommen. Dass Einstellung, Moral und Teamspirit stimmen, haben die ersten Spiele schon gezeigt. Das müssen wir so beibehalten.
Der WSV spielte einst in der Bundesliga, qualifizierte sich sogar für den UEFA-Pokal. Welchen Stellenwert hätte vor diesem Hintergrund der Aufstieg in die 3. Liga?
Dogan: Der WSV ist vor mehr als 13 Jahren aus der 3. Liga abgestiegen, zwischenzeitlich sogar in die Oberliga abgerutscht. Von daher wäre es für alle Beteiligten selbstverständlich etwas ganz Besonderes, endlich wieder auf der bundesweiten Fußballlandkarte vertreten zu sein. Aber wie schon gesagt: Wir haben gerade einmal drei von 34 Spielen absolviert. Wir tun deshalb gut daran, nicht den zweiten oder dritten Schritt vor dem ersten zu machen und uns immer nur auf die kommende Aufgabe zu fokussieren.