Außenseiter|19.12.2024|11:00

Das "Spiel des Lebens" des TV Hoffnungsthal

Ein eingeschworenes Team: Der TV Hoffnungsthal aus dem Bergischen Land.[Foto: TV Hoffnungsthal]

Stellen Sie sich einmal vor, dass ein Klub aus der fünftklassigen Oberliga im DFB-Pokal den Titelverteidiger Bayer 04 Leverkusen ganz nah an den Rand des Ausscheidens bringt. Die bundesweite Aufmerksamkeit wäre riesig. Exakt diese Kräfteverhältnisse gab es jetzt im Pokalwettbewerb des Fußball-Verbandes Mittelrhein (FVM), als der FV Hoffnungsthal aus der Bezirksliga auf den aktuellen Pokalsieger Alemannia Aachen traf.

Der Siebtligist schrammte im Achtelfinale gegen den vier Klassen höher spielenden Drittligisten (1:4 nach Verlängerung) vor der Rekordkulisse von 2000 Zuschauer*innen in Bergisch Gladbach nur haarscharf an einer Sensation vorbei. Die Feierabendkicker aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis führten bis zur 88. Minute 1:0, ehe das Team von Hoffnungsthals Trainer Baran Dagdelen (27) durch ein unglückliches Eigentor aus allen Träumen gerissen wurde und schließlich in der Extra-Time den Aachener Profis doch noch unterlag. Dennoch war es für den kleinen Klub aus Rösrath der größte Tag in der 117-jährigen Vereinshistorie.

"Wir hätten das Ding gezogen, wenn dieser Fauxpas kurz vor Schluss nicht passiert wäre", ist sich Hoffnungsthals Sportlicher Leiter Maciek Gawlik im Gespräch mit FUSSBALL.DE sicher. "Wenn mir diesen Spielverlauf jemand vorhergesagt hätte, hätte ich ihn für bekloppt erklärt", führt der zweifache Familienvater aus. "Normalerweise kriegen wir in 100 Spielen gegen Alemannia Aachen 99-mal etwas auf die Mütze. Aber in dieser einen Partie hat man besonders in der ersten Halbzeit keinen Klassenunterschied gesehen. Wir waren eklig und aggressiv, was Alemannia überhaupt nicht geschmeckt hatte. Für uns alle war es das Highlight in unserem Fußballerleben."

Aachens Trainer Backhaus gratuliert in der Kabine

"Wenn mir diesen Spielverlauf jemand vorhergesagt hätte, hätte ich ihn für bekloppt erklärt"

Lobende Worte fand Maciek Gawlik, der als Oberkommissar im Polizeipräsidium Köln seinen Lebensunterhalt verdient, vor allem für Alemannia-Trainer Heiner Backhaus. "Heiner ist nach der Partie zu uns in die Kabine gekommen, hat mit jedem unserer Spieler abgeklatscht und uns gratuliert. So etwas macht nicht jeder Trainer, was ich ihm sehr hoch anrechne. Erst nach dem Ausgleichstreffer war bei uns der Wille gebrochen. Wir hatten in der Verlängerung keine Körner mehr, konnten der Alemannia nichts mehr entgegensetzen."

Zum Vergleich: Während sich die Aachener in der 3. Liga als Aufsteiger auf einem Mittelfeldplatz festgesetzt haben, überwintert der TV Hoffnungsthal, dessen Fußballabteilung insgesamt 370 Mitglieder umfasst, in der Bezirksliga auf Rang sechs. "Wir können finanziell nicht mit den Topklubs in unserer Liga mithalten", sagt Maciek Gawlik, der das Team noch im vergangenen Jahr selbst als Trainer betreut hatte. Mittelfristig würde der Verein allerdings schon gerne den Aufstieg in die Landesliga ins Visier nehmen.

Größter Erfolg der Vereinsgeschichte im Kreispokal

Schon die Qualifikation für den Mittelrheinpokal war für den TV Hoffnungsthal außergewöhnlich. Das Endspiel gegen den Mittelrheinligisten SV Bergisch Gladbach 09, der damals noch von Ex-Profi Mike Wunderlich trainiert wurde, hatte der Underdog trotz Unterzahl in der Verlängerung 1:0 gewonnen.

"Schon das war der größte Erfolg in unserer Vereinsgeschichte", sagt Maciek Gawlik voller Stolz. Durch die Finalteilnahme qualifizierte sich der TV Hoffnungsthal automatisch für den Verbandspokal, schaltete dort in der ersten Runde schon den immerhin zwei Spielklassen höher beheimateten Oberligisten FC Hürth 2:1 nach Verlängerung aus.

Achtelfinal-Auslosung an der Anfield Road verfolgt

Maciek Gawlik ist großer Fan von Bayer 04 Leverkusen, verfolgte deshalb die Auslosung des Achtelfinales im Mittelrheinpokal an der Anfield Road während des Champions League-Spiels beim FC Liverpool (0:4 aus Bayer-Sicht) am Handy. Sportlich war die Vorfreude auf das Duell mit dem attraktiven Drittligisten Alemannia Aachen sofort riesengroß. Allerdings war Gawlik auch schnell klar, welche großen Herausforderungen dadurch auf seinen Verein warten würden.

Da auf der heimischen Sportanlage am Bergsegen die Partie aus Platz- und Sicherheitsgründen nicht stattfinden konnte, musste schnell eine andere Lösung her. Gerne hätte der Bezirksligist sein Heimrecht getauscht und die Partie am Aachener Tivoli ausgetragen. Durch das beliebte Weihnachtssingen, das alljährlich in der traditionsreichen Spielstätte der Alemannia stattfindet, stand das Stadion jedoch nicht zur Verfügung.

So wurde die Belkaw Arena in Bergisch Gladbach angemietet, nur rund 15 Kilometer von Hoffnungsthal entfernt. Kostenpunkt: 2.700 Euro. Auch deshalb werden sich die wirtschaftlichen Vorteile aus dem Alemannia-Spiel in Grenzen halten. "Abzüglich aller Kosten sind wir froh, wenn wir plus minus null aus dieser Nummer herauskommen", rechnet der Sportliche Leiter vor.

Organisation eine Mammutaufgabe für Dorfverein

Zu seinen Heimspielen rechnet der Dorfklub TV Hoffnungsthal im Schnitt mit 100 Zuschauer*innen. Gegen Alemannia Aachen waren freilich 2.000 Fans im Stadion, was für den Bezirksligisten einen erheblichen organisatorischen Mehraufwand bedeutete. "Die Vorbereitungen, was Catering, Security oder Parkplatzsituationen anbelangt, waren völliges Neuland für uns", berichtet Maciek Gawlik. "Das hat unglaublich viel Zeit in Anspruch genommen. Meine Frau bekam ich meistens erst am späten Abend zu sehen", so der Sportliche Leiter mit einem Augenzwinkern. "Zieht man die Aachen-Fans ab, so waren fast alle 1650 Einwohner aus unserem Dorf in der Arena dabei."

Um dem Publikum beim "Spiel des Lebens" etwas zu bieten, hatte sich der Verein mächtig ins Zeug gelegt. So organisierte Torwarttrainer Pascal Königs beispielsweise für das Pokalspiel eine Tanzgruppe, die von seiner Lebensgefährtin betreut wird und in der auch seine Stieftochter ihr Tanzbein schwingt. Gebucht wurden auch ein Radiomoderator und ein DJ, die vor dem Spiel und während der Pause die Besucher*innen unterhielten. Am Platz wurden Popcorn und auch Merchandising-Artikel verkauft.

Auf der Anlage in Bergisch Gladbach wurde der Ascheplatz zum Parkplatz umfunktioniert. Außerdem wurden eigens 100 Schals angefertigt, die innerhalb weniger Minuten komplett ausverkauft waren. "Insgesamt haben 75 ehrenamtliche Helfer mitangepackt und mit ihrem Engagement dafür gesorgt, dass dieses Spiel überhaupt stattfinden konnte", lobt Maciek Gawlik. "Für einen Dorfverein ist eine solche Veranstaltung eigentlich nicht zu stemmen. Umso stolzer sind wir darauf, dass wir es möglich machen konnten." Zur unverhofften sportlichen Krönung fehlten am Ende lediglich zwei Minuten.