Sriranganathan: "Auf dem Bolzplatz gelernt"
Katharina Sriranganathan ist in Deutschland derzeit die beste Schützin in der 4. Liga an. Mit FUSSBALL.DE spricht sie über die Torjägerkanone.
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Blickt trotz aller Schicksalsschläge optimistisch nach vorne: Saarbrückens Toptalent Philipp Wunn (vorne). [Foto: 1. FC Saarbrücken]
Er ist jung und ein verdammt starker Fußballer. Doch Philipp Wunn aus der U 19 des 1. FC Saarbrücken kennt auch die Schattenseiten des Lebens. Der 18-Jährige, der auf dem Sprung in den Profifußball war, hat schwere familiäre Schicksalsschläge zu verarbeiten.
Die Weihnachtsfeiertage hat Philipp Wunn bei seinen Großeltern verbracht. Sie sind der Mittelpunkt im Leben des Nachwuchsstürmers des 1. FC Saarbrücken. „Familie ist das Wichtigste, was man im Leben hat. Das sollte man immer zu schätzen wissen“, sagt der 18-Jährige, der für sein Alter unheimlich reif wirkt. Wunn spricht wie jemand, der im Schnelldurchlauf erwachsen werden musste. Wer seine Geschichte hört, versteht wieso.
Rückblick: Herbst 2006. Der kleine Philipp ist ein ganz normaler, fröhlicher Junge. Er stammt aus geordneten Verhältnissen, hat viele Freunde, spielt gut Fußball. Doch über seinem jungen Leben hängt ein Schatten. Die Mutter ist schwer krank, kämpft monatelang gegen den Krebs. Am Ende vergeblich. Als sie stirbt, bricht für ihn eine Welt zusammen. „Wir müssen jetzt füreinander da sein“, sagt sein Vater zu ihm. Der Schwur hält genau 14 Tage. Dann schlägt das Schicksal erbarmungslos zu.
Philipp ist schon in der Schule, als der Vater zur Arbeit fährt. Der Berufssoldat strebt eine Umschulung in den Polizeidienst an. Er wird Zeuge eines Verkehrsunfalls, will eine schwerverletzte Frau aus dem Auto ziehen. Ein heranrasender Wagen erfasst ihn. Als Philipp aus der Schule kommt, ist sein Großvater da. Gemeinsam mit einer Psychologin bringen sie ihm die schreckliche Nachricht bei. Mit acht Jahren ist er Vollwaise. „Ich dachte zuerst, dass ich ins Heim muss“, schildert er seine Eindrücke, die ihn bis heute begleiten. Von Zeit zu Zeit arbeitet er mit einer Psychologin zusammen, „weil ich gerade mit dem Todestag von Papa nicht gut umgehen kann“.
"Ich bin gesund und mir steht die Zukunft offen. Ich denke, dass es viele 18-Jährige gibt, denen es schlechter geht als mir"
An seinem Hals trägt der 18-Jährige eine Kette des Vaters, von der Mama sind ihm Bilder und Erinnerungen geblieben. Die Zeit nach dem Verlust der Eltern ist dramatisch. Er wohnt zuerst bei seiner Tante, zieht dann von Riegelsberg nach Dudweiler zu den Großeltern väterlicherseits. Oma Monika gibt ihren Beruf auf. In der Schule läuft es schlecht, Philipp lässt kaum jemanden an sich heran. „Ich hatte einen regelrechten Hass auf die Welt, habe mich schwer zurechtgefunden.“ Halt gibt ihm der Fußball. Wunn wechselt zum 1. FC Saarbrücken, er gilt als außergewöhnlich talentiert. In der Regionalliga schießt er die meisten Tore – in ganz Deutschland – die großen Klubs stehen Schlange.
Ralf Rangnick ruft bei Opa Karl-Heinz an, will den Enkel nach Leipzig locken. Und es gibt weitere Mitbewerber. Einige Bundesligisten klingeln durch, auch ein Klub aus England meldet sich. Philipp, ein feinfühliger Junge, den der ehemalige Saarbrücker Jugendleiter Peter Jene „als beeindruckenden Charakter“ bezeichnet, spürt den Schmerz der Großeltern. „Es wäre mir wie Verrat vorgekommen, sie alleine zu lassen. Nach allem, was sie für mich aufgegeben haben“, sagt er. Er bleibt beim FCS, schießt Tor um Tor, wird in die Junioren-Nationalmannschaft berufen.
Doch das Schicksal ist nach wie vor nicht sein Freund. Am Vorabend des ersten Länderspiels bekommt er Ohrenschmerzen. Fieber gesellt sich dazu, eine Mittelohrentzündung klaut ihm den Einsatz. Kein Beinbruch, denkt er sich. Schließlich spielen B- und A-Jugend des FCS zu dieser Zeit Bundesliga. Wunn sieht auch in der Heimat gute Chancen für eine Karriere als Profifußballer. Doch eine Schambeinverletzung wirft ihn zurück, kostet ihn fast ein Jahr. In der U 19 läuft es zunächst besser. Beim Pokalspiel gegen St. Pauli trifft er. Als jüngerer Jahrgang ist er gesetzt. Doch irgendwie streikt der Körper immer. Der Tiefpunkt: Im November 2015 verletzt er sich im Spiel gegen Fürth kurz nach seiner Einwechslung am Knie. Es dauert Monate, bis er richtig fit ist. Er kommt zu einigen Kurzeinsätzen, der FCS plant aber für die neue Saison mit ihm als Stammkraft. Doch der Fußball-Gott ist nicht auf seiner Seite.
Am letzten Spieltag steigt der FCS doch noch ab, für Wunn und seine Mitspieler heißt es Regionalliga. „Macht nix“, sagt er sich, nimmt sich „25 Tore als Ziel“ vor und startet gut in die Saison. Er trifft zu Beginn, verletzt sich im Gesicht, fällt aus und kämpft sich zurück. Als Cheftrainer Dirk Lottner ein Perspektivspiel gegen den Saarlandligisten Dillingen ansetzt, nimmt er Wunn mit. Er wirft den 18-Jährigen ins kalte Wasser, der schießt das Siegtor. „Der Kleine da ist richtig gut, den behalte ich im Auge“, sagt Lottner zu U 19-Coach Karsten Specht. Drei Tage später spielt der mit seiner Mannschaft gegen Offenbach. Wunn wirft sich in jeden Zweikampf, nach 20 Minuten knallt es. Wenig später humpelt er vom Platz. Die Vorrunde ist mehr oder weniger gelaufen.
Hilflos muss er mitansehen, wie andere von der Personalmisere der ersten Mannschaft profitieren. Cedric Euschen beispielsweise kommt als Stürmer sogar zu zwei Kurzeinsätzen: „Ich habe mich für ihn gefreut. Er ist ein sehr guter Freund. Neid bringt einen im Leben nicht weiter“, sagt Wunn. Der 18-Jährige ist Realist durch und durch. „Ich muss es annehmen, wie es ist. Es ist aufgrund meiner Geschichte nicht sehr wahrscheinlich, dass ich einen Profivertrag bekomme“, sagt er und kündigt an, in der Rückrunde „noch einmal alles raushauen zu wollen“. Die Planungen des FCS, eine U 23 anzumelden, verfolgt er mit Interesse. „Wenn es in einer höheren Liga ist, ist das auf jeden Fall eine Option. Ich werde nicht vergessen, dass der FCS mich immer unterstützt hat.“
Derzeit macht Wunn sein Fachabitur. Was danach kommt, ist offen. Ein Duales Studium im Sportbereich reizt ihn. Ein Angebot hat er kurz vor Weihnachten bekommen. Ein College-Team aus den USA interessiert sich für ihn. Der Gedanke ist verlockend, doch da sind immer noch die Großeltern und Freundin Vanessa, 20. „Wahrscheinlich werde ich es nicht machen“, sagt Wunn.
Hadert jemand wie er gerade an Weihnachten nicht mal mit dem Schicksal? „Ich habe tolle Großeltern, viele Freunde und eine tolle Freundin. Ich bin gesund und mir steht die Zukunft offen. Ich denke, dass es viele 18-Jährige gibt, denen es schlechter geht als mir.“ Es sind bemerkenswerte Worte eines Jungen, der im Schnelldurchlauf erwachsen werden musste.
Diese Geschichte ist am 6. Januar 2017 im Wochenmagazin Forum erschienen.
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